Regelmäßigkeit wird meistens sehr positiv gesehen. Das Gehalt soll regelmäßig kommen, man soll regelmäßig zur Vorsorge usw. Daher würde man es auch verstehen, wenn Personen sich im ersten Augenblick über die Aussage „Ihr Herzschlag ist regelmäßig“ freuen würden.
Das wäre aber falsch.
Ich erkläre das immer mit einer Frage: „Ist denn Ihr Leben regelmäßig?“ Immer gleich? „Keine Variation?“. Natürlich ist es das nicht und der Organismus muss sich daran anpassen. Und das Herz auch.
Ein gesundes Herz passt sich kontinuierlich an innere und äußere Bedingungen an. Bei körperlicher oder geistiger Belastung steigt die Herzfrequenz normalerweise an, während sie sich bei Entspannung wieder senkt.
Die Herzratenvariabilität (HRV) ist ein Spiegel für die Fähigkeit des Organismus sich anzupassen. Und betrachten Sie jetzt einmal das Wort Anpassen ganz genau. Anpassungsfähigkeit. Adaptation. Das ist etwas, das den Menschen ganz zentral ausmacht. Wenn diese Fähigkeit zur Anpassung eingeschränkt ist, kann man das wirklich als schlechtes Zeichen sehen.
Schon der chinesische Arzt Wang Shu-he erkannte das:
„Wenn das Herz so regelmäßig wie das Klopfen eines Spechtes oder das Tröpfeln des Regens auf dem Dach wird, wird der Proband innerhalb von vier Tagen sterben.
Das klingt sehr deterministisch, aber heutzutage haben wir die Daten dazu. 8 Tage vor dem Herzstillstand schlägt das Herz eines Menschen schneller und 13 Stunden vor dem Tod verschwindet das „Chaos“ aus den Kurven, das Herz schlägt also fast vollkommen regelmäßig.
HRV-Analyse und HRV-Training
Man kann die Arbeit mit der Herzratenvariabilität, genauso wie die meisten Dinge im Gesundheitsbereich, grob in 2 Aspekte einteilen – die Analyse und das Training.
HRV-Analyse
Bei der HRV-Analyse erarbeiten wir den IST-Zustand, also wie reagibel der Herzschlag ist. Es gibt hier lange Analysen, welche bis zu 24h dauern und kürzere Varianten.
Ganz generell ist die Aussagekraft einer längeren Messung natürlich zwangsläufig präziser, aber es soll ja auch leicht umsetzbar sein. Meiner Meinung nach liegt aktuell ein großer Fokus darauf, auch mit kurzen Messungen gute Ergebnisse zu erzielen (bis hin zu 1min Messungen).
Auch die konstanten Weiterentwicklungen bei Smartwatches und dergleichen werden da eine große Rolle spielen. Wenn die Sensoren genauer werden, könnte das ein wirklich großer Durchbruch sein.
HRV-Training
Natürlich dürfen wir uns die HRV nicht nur ansehen, wir sollten auch, wenn sie eingeschränkt ist, diese ausbauen. Das macht man mit dem HRV-Training.
Generell können zwei Wege sehr gut für diesen Zweck genutzt werden. Einerseits ist dies ein allgemeines Entspannungstraining. Die Theorie dahinter ist, dass, wenn der Organismus ständig am oberen Limit ist, seine Möglichkeiten stark eingeschränkt sind. Durch das „Normalisieren“ erhöht sich da die Spielraum.
Der bekannteste Weg ist wohl jener, ein direktes Training der respiratorischen Sinusarrhythmie durchzuführen. Hinter diesem Wortungetüm versteckt sich nichts anderes, als dass das Herz beim Einatmen schneller (aktivierend) und beim Ausatmen langsamer (entspannend schlägt). Meist betrachtet der Klient dann beide Werte gleichzeitig und versucht diese in Kohärenz zu bringen.
Meiner Erfahrung nach würde ich hier auch gar nicht zu sehr probieren, das super aktiv zu tun, es funktioniert viel besser, wenn man sich darauf einlässt und über die Rückmeldung lernt.
Details zur Herzratenvariabilität
Was wird genau gemessen?
Bei der Herzratenvariabilität (HRV) wird die Variation der Zeitintervalle zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen gemessen.
Diese Variationen werden als RR-Intervalle bezeichnet, wobei jedes Intervall die Zeit zwischen zwei R-Zacken im Elektrokardiogramm (EKG) repräsentiert. Das wichtigste für uns ist, dass diese Intervalle eben nicht gleich lang sein sollen. Eine Variante die HRV zu beschreiben ist zu sagen, es ist ein Wert dafür, wie „schlecht“ der bisherige Herzschlag den weiteren vorhersagt. Wenn das zu 100% perfekt wäre, wäre die HRV niedrig.
Messung über einen Fingerpulssensor: Bei dieser Methode wird der Abstand zwischen den Herzschlägen mit einem Sensor erfasst, der meist auf dem Finger platziert wird. Neuerdings läuft dies auch oft über das Handgelenk (Smartwatches). Die hier benutzte Methode nennt sich meist Pulsplethysmographie. Das ist ganz generell eine super coole Sache, hier ist für uns aber nur wichtig, dass mehr oder weniger Licht genutzt wird, um die Herzschläge zu messen.
Grundlegend hieß es lange, dass die Auflösung dieser Sensoren im Vergleich zum EKG (siehe unten) nicht ausreichend ist, um eine Analyse durchzuführen, moderne Technologien wie auch in Smartwatches werden das aber noch zeigen, da hier die Genauigkeit besser und besser wird.
Messung über einen EKG-Sensor:
Die präzisere Methode zur Erfassung der HRV ist das EKG (Elektrokardiogramm). Hochauflösende EKG-Sensoren, wie sie im Neuromaster-System verwendet werden, erfassen den Herzschlag mit einer hohen Abtastrate und zeigen präzise Ergebnisse an. Diese Methode ist natürlich aufwändiger. Beide Methoden haben ihre spezifischen Anwendungsbereiche und Genauigkeitsgrade.
Analyse der Herzratenvariabilität
Ok, wir haben nun also gemessen und haben unsere Ergebnisse, was sagen uns die? Hier gibt es wieder 2 Wege.
„Schau ma mal“
Manche Personen mit fundierter messtechnischer und akademischer Ausbildung werden mich jetzt vielleicht hassen, aber ich vertrete die Auffassung, dass man auch mit groben „Blick Methoden“ und Heuristiken eine erste Einschätzung zur HRV treffen kann. Dafür eignet sich die oben genannte Respiratorische Sinusarrhythmie perfekt.
Wenn Sie merken, dass die Kurve der Atmung ein deutliches Ein- und Ausatmen zeigt, der Herzschlag aber in der Kurve kaum Veränderungen zeigt, haben Sie da schon mal einen Hinweis. Ein weiterer, wenn auch grober Anhaltspunkt ist, sich die Differenz zwischen dem Maximum und dem Minimum beim Herzschlag anzusehen. Hier gibt es keine Normwerte, aber wenn es zwischen Ein- und Ausatmen nur 2 Schläge Unterschied gibt, klingt das eher nach einer schlechten HRV, bei 20 nach einer sehr guten.
Präzise Werte
Verzagen Sie nicht, wenn Ihnen das zu ungenau ist, natürlich gibt es auch tolle statistische Auswertungen, auch grafisch (ein Poincare-Diagramm) und numerisch. Hier einige der häufigsten verwendeten Kennwerte:
RMSSD (Root Mean Square of Successive Differences): Dieser Wert misst die kurzfristige Variabilität der Herzrate und ist besonders empfindlich gegenüber Veränderungen im parasympathischen Nervensystem.
SDNN (Standard Deviation of NN Intervals): Die Standardabweichung aller RR-Intervalle. SDNN reflektiert sowohl sympathische als auch parasympathische Einflüsse und ist ein Indikator für die Gesamt-HRV.
PNN50: Prozentsatz der RR-Intervalle, die sich um mehr als 50 Millisekunden von dem vorherigen RR-Intervall unterscheiden. pNN50 ist ein weiterer Indikator für die Aktivität des parasympathischen Nervensystems.
HF (High Frequency): Dieser Wert misst die hochfrequenten Anteile im HRV-Spektrum, die mit der Atmung zusammenhängen und hauptsächlich parasympathische Aktivität widerspiegeln.
LF (Low Frequency): Der Niederfrequenzbereich im HRV-Spektrum, der sowohl sympathische als auch parasympathische Aktivität reflektiert. LF wird oft im Verhältnis zu HF betrachtet, um das Gleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus zu beurteilen.
CV (Coefficient of Variation, Variationskoeffizient): Der Variationskoeffizient ist ein Maß für die relative Variabilität und wird berechnet als die Standardabweichung der RR-Intervalle (SDNN) geteilt durch den Mittelwert der RR-Intervalle. Der CV bietet ein Maß für die Dispersion der Herzschlag Intervalle im Verhältnis zum Mittelwert und wird oft zur Beurteilung der Gesamtvariabilität der Herzrate verwendet.
Tipps und Tricks zur Herzratenvariabilität
Wenn Sie die HRV mit der Atmung kombinieren, eröffnen sich Ihnen, wie Sie hoffentlich gesehen haben, tolle Möglichkeiten. Eine kaum genutzte ist aber die Möglichkeit die ideale Atemfrequenz für jeden Klienten individuell zu finden. Sie können verschiedene Atemfrequenzen probieren und vergleichen, bei welcher der Klient die beste Herzratenvariabilität zeigt. Während 6 Atemzüge pro Minute ein super Richtwert sind, kann das trotzdem ein wenig variieren. Diesen Wert können Sie dann auch z.B. für ein Atempacing via App verwenden.